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Der Bärenaufbinder
Dritter Fall: Wasserschaden oder Schlossknacker


Dritter Fall: Wasserschaden oder Schlossknacker

Die Chamer Bevölkerung scheint ein Faible für halbe Lügen zu haben. Oder Gewissensbisse, einem Auswärtigen gänzlich erlogene Anekdoten aufzutischen. Jedenfalls hatte auch mein zweiter Gesprächspartner seine Lüge auf dem Fundament ­einer Wahrheit gebaut. Er sei tatsächlich auf kuriose Weise in den Besitz von vier Banjos gekommen. Die Einladung aus ­Irland, die habe es aber nie gegeben. Im Gegensatz zu den drei Ladies, die nach einem Ferienjahr unerwartet in seinem Briefkasten aufgetaucht waren. Der Bildhauer hatte mich nicht täuschen können. Mein Spürsinn funktionierte. Mit dieser Gewissheit betrat ich einige Wochen später die Wirkstätte meiner nächsten Zielperson. Diese beschert – wortwörtlich – seit über 30 Jahren unzähligen Menschen Momente des Glücks.

Immer, wenn ich Coiffeursalons betrete, schiessen mir Dutzende Wortspielereien durch den Kopf. Vermutlich, weil ich mich von den Namen der Salons gleichermassen inspiriert wie provoziert fühle. HAIRlich. HAIRvorragend. Haarchitekten. Meine Zielperson hingegen hielt es nicht für nötig, sich mit ­einer – an den Haaren herbeigezogenen – Betitelung in den Olymp der Wortakrobatik zu katapultieren. Und dies, obwohl die Dame mit wilder Frisur die verbale Klinge genauso fein führen konnte wie jene in ihrer Hand. Nach der Messung meiner Haardicke und einer schonungslosen Gesichtsanalyse ging es Schnitt für Schnitt in eine amüsante Unterhaltung. Beinahe vergass ich meine Mission. Erst als die Coiffeuse mit Wachs durch meine Haare fuhr, kam ich zur Bekanntgabe der Spielregeln: Zwei Anekdoten werden mir erzählt. Eine stimmt, die andere ist erlogen. Liege ich anschliessend mit meiner Einschätzung daneben, binde ich mir einen Plüschbären auf den Rücken und mische mich unters Volk. Die Coiffeuse erzählte mir daraufhin folgende zwei Geschichten – ohne eine Miene zu verziehen:

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Anekdote 1

Ein befreundeter Kanufahrer hängte seine tropfnasse Spritzdecke am Duschkopf im Bad auf. Unglücklicherweise fiel die Spritzdecke runter und riss den Klapphahn auf. Wie es der Zufall wollte, verstopfte die Spritzdecke den Ablauf. Das Wasser füllte die Duschwanne, breitete sich in der Wohnung aus und floss schliesslich unter der Eingangstür durch. Dies entdeckte der aufmerksame Vermieter und alarmierte den Verursacher. Der Kanufahrer eilte von der Arbeit nach Hause, watete durch die Wohnung und beendete den fliessenden Bach.

Anekdote 2

Ein Fahrradliebhaber war in Besitz von mehreren Drahteseln. Diese waren allesamt ausgestattet mit Zahlenschlössern, nicht aber mit dem identischen Code. Um den Überblick zu behalten, beschriftete der Fahrer die Schlösser mit ihren Codes. Am helllichten Tag kam es, dass der Fahrradliebhaber einen Dieb in flagranti beim Knacken eines seiner Räder erwischte. Er erklärte dem Dieb, dass er auf seinen Bolzenschneider hätte verzichten können, schliesslich stehe auf diesem Schloss der Code gut leserlich. Der verdatterte Dieb packte daraufhin sein Werkzeug und ergriff – unverrichteter Dinge – die Flucht.

Es lag an mir, das Haar in der Suppe zu finden. Die Anekdote mit der Überschwemmung erschien mir dramatisch und plausibel zugleich. Mir sind einige Duschen bekannt, bei denen der Klapphahn direkt über dem Abfluss platziert ist. Oder stimmt es, dass ein Fahrraddieb die eleganteste Art des Schlösserknackens ausgelassen hatte? Ich raufte meine frisch frisierte Mähne und tippte. Kurze Zeit später verliess ich den Salon im zweifachen Glück: mit einer neuen Frisur und dem guten Gefühl, eine weitere Halbwahrheit enttarnt zu haben.

Was denken Sie? Bei welcher Anekdote wurde geflunkert? Die Auflösung finden Sie in der nächsten Ausgabe.