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Der Bärenaufbinder
ZweiteR Fall: gestohlene Ladies oder gelieferte Banjos


Zweiter Fall: gestohlene Ladies  oder gelieferte Banjos

Mit einem Plüschbären auf dem Rücken sass ich an ­einem Samstagmorgen in der Bibliothek. Der Beweis, dass ­Lügen reale Konsequenzen haben. Ein gewitzter Herr mit Schnurrbart hatte mich in die Irre geführt. Er hatte behauptet, als Sigrist den Opferstock geplündert zu haben, um einem Kirchgänger 100 Franken zu wechseln. Diese Geschichte stimmt, hatte ich gesagt, und lag mit meiner Einschätzung daneben. Wobei: nicht ganz. Im Kern stimme die Geschichte, hatte der Schnäuzer eingeräumt, nur seien es 50 Franken statt 100 gewesen. Eine solch winzige Lüge zu entlarven, glich einer Meisterleistung. Der US-Präsident machte es einem dies­bezüglich leichter, dachte ich, während ich in der Bibliothek durch die Zeitungen wühlte. Papier nimmt alles an, da sind Wahrheiten nicht in Stein gemeisselt. Anders als bei ­meiner nächsten Zielperson. 
Grabsteine lügen selten. Ob Bildhauer aufgrund dessen miserabel im Flunkern sind, plante ich in Erfahrung zu bringen. Ich polterte an die Türe der Werkstatt und wurde von ­einer Staubwolke und ihrem Erzeuger in Empfang genommen. Der Bildhauer führte mich durch sein Reich, vorbei an Grabmälern, Skulpturen und einem beachtlichen Steinhaufen. Nach dem ersten Augenschein ging es ans Eingemachte. Ich forderte den Bildhauer auf, erzählerischen Staub aufzuwirbeln: Zwei Geschichten soll er mir auftischen. Eine müsse stimmen, die andere nicht. Sollte es mir nicht gelingen, die Lüge zu entlarven, müsste ich mich erneut mit einem Plüschbären auf dem Rücken unter die Leute mischen. Der Bildhauer schien angespornt zu sein und erzählte mir folgende zwei Anekdoten: 

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Anekdote 1

An einem Volksfest habe er aus Ton drei «Ladies» modelliert und sie nach getaner Arbeit mit einem schwarzen Tuch verdeckt. Es sei bereits spät gewesen und er habe die 30 cm hohen Skulpturen neben seiner Werkzeugkiste stehen gelassen, um sich ins Festgetümmel zu stürzen. Am nächsten Tag seien die drei «Ladies» verschwunden und der Werkzeugkasten aufgebrochen gewesen. Ein dreister Kunstraub mitten in Cham. Umso grösser die Überraschung, als ein Jahr später die drei «Ladies» in seinem Briefkasten standen. Mit der Notiz: «Wir sind zurück aus den Ferien.» Welche Feriendestination die «Ladies» aber besucht hatten, sei bis heute ungeklärt. 

Anekdote 2

Im Festzelt der Tour de Suisse habe er mit einem Kumpel beschlossen, zwei Banjos zu bestellen. Bis dato hätte keiner von ihnen ein Banjo in den Händen gehalten. Gleichwohl wählten sie einen irischen Direktanbieter. Für Anfänger nur das Beste. Aber die Banjos seien auch nach Monaten nicht geliefert worden. So bestellten sie zwei weitere Banjos im  Chamer Musikladen. Diese seien zackig angekommen. Zwei Wochen später hätte der Pöstler obendrauf noch die irischen Banjos gebracht. Vier Banjos auf zwei Banjobanausen sei ein gutes Omen gewesen: Ein Pub-Besitzer aus Irland sei auf ihre Homepage gestossen und hätte sie prompt gebucht. 

Verdammt. Der Bildhauer hatte geliefert. Beide Anekdoten wirkten ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Den drei «Ladies» war ich jedenfalls nicht begegnet. Keine Spur in der Werkstatt von ihnen. Hätte sich die Geschichte wirklich so abgespielt, müssten die drei «Ladies» nicht beim Eingang auf ­einem Sockel stehen? Damit jeder Mensch nach ihrer Geschichte fragt. Bei den Banjos hingegen, zweifelte ich an der Buchung aus Irland. Oder war das irischer Humor? Zwei Schweizer Banjospieler einzufliegen, um sie vor versammelter Meute auflaufen zu lassen? Ich schaute mich in der Werkstatt um. Der Staub hatte sich gelegt. Ein gutes Zeichen. Ich tippte richtig. Zwangspause für den Plüschbären. 
Was denken Sie? Bei welcher Geschichte wurde geflunkert? Die Auflösung finden Sie in der nächsten Ausgabe. 

Mein Gegenüber schien ein gerissener Täuscher zu sein. Kein Zucken mit seinem Schnurrbart, keine Unsicherheit in seiner Stimme. Dass er als Sigrist gearbeitet hatte, belegten meine Recherchen. Aber kommen bei leeren Kirchenbänken tatsächlich 90 Franken an Wechselgeld zusammen? Auch die zweite Anekdote erschien verdächtig. Warum sollte sich ein Spaziergänger nach einem verschwunden Slip erkundigen? Ich grübelte, analysierte und tippte schliesslich prompt daneben. Mein Gegenüber schmunzelte und sagte mir genüsslich, ich könne mir den Plüschbären an einem Samstag in der Bibliothek aufbinden. Um diese Zeit sei sie immer gut besucht. Nun aber wolle er mir noch die verkohlte Tonne zeigen, fügte er an – als sei das der krönende Beweis für seine Glaubwürdigkeit. Was denken Sie? Bei welcher Geschichte wurde geflunkert? Die Auflösung finden Sie in der nächsten Ausgabe. Wer aber der Protagonist im ersten Fall war, haben Sie vermutlich bereits erraten. Wenn nicht: Fragen Sie die Dorfältesten.